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Existenzsichernde Arbeitsplätze statt Billigjobs

Gastkommentar von Ursula Engelen-Kefer

Foto von Ursula Engelen-Kefer
Ursula Engelen-Kefer

Die Hartz-Reformen konnten die hoch gesteckten Hoffnungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit bislang nicht erfüllen. Der Arbeitsmarkt ist zwar in Bewegung, doch kaum einen Schritt weiter gekommen. Im Gegenteil. Denn die Beschäftigungsstruktur und die Arbeitsformen haben sich dramatisch gewandelt. Die Zahl der sozialversicherten Arbeitsplätze geht Jahr für Jahr rasant zurück - seit 2001 ein Abbau von über 2 Millionen regulären Stellen.
Statt dessen boomen die prekären Beschäftigungsformen wie Minijobs, Scheinselbstständigkeit und Ein-Euro-Jobs. Dennoch bleibt die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau - und die Langzeitarbeitslosigkeit steigt. Diese Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt hin zu Arbeitsverhältnissen zweiter Klasse sind eine gefährliche Entwicklung. Sie schafft neue Unsicherheiten für Beschäftigte und Arbeitslose und lähmt so die Binnenkonjunktur. Sie setzt reguläre Jobs unter Druck und reißt immer größere Löcher in die Kassen der Sozialversicherungen und öffentlichen Haushalte.
Ein-Euro-Jobs bieten kaum Eingliederungsperspektiven
Die großflächig eingesetzten so genannten 1-Euro-Jobs sind der falsche
Weg. Sie bieten weder für die TeilnehmerInnen eine realistische Eingliederungsperspektive, noch sind sie ein fiskalisch „günstiges“ Arbeitsmarktinstrument. Nach Schätzung des DGB wird nur etwa jeder 20. Teilnehmer im Anschluss an die Maßnahme einen regulären Anschlussjob finden. Das ist eine weitaus schlechtere Eingliederungsquote als zum Beispiel bei ABM oder bei Qualifizierungsmaßnahmen. Da für 1-Euro-Jobs weiterhin die vollen ALG IILeistungen sowie zusätzlich eine Trägerpauschale gezahlt werden, andererseits aber keine Steuer- oder Sozialversicherungseinnahmen entstehen, ist die 1-Euro-Maßnahme gesamtfiskalisch nicht billiger als eine reguläre Beschäftigung. Lediglich die komplizierte Finanzarchitektur von Hartz IV vernebelt diesen Umstand und schafft Fehlanreize bei den verschiedenen beteiligten Trägern.
Außerdem treten bei den 1-Euro-Jobs große Verdrängungsprobleme gerade im öffentlichen Dienst auf. Da das notwendige Kriterium der „Zusätzlichkeit“ nicht präzise definiert werden kann, gibt es in der Praxis einen breiten Wildwuchs, der von den Behörden nicht hinreichend kontrollliert wird.
Überall im öffentlichen Dienst sind in den letzen Jahren Arbeitsplätze abgebaut und Arbeitsbedingungen verschlechtert worden. Die entstandenen Löcher jetzt durch 1-Euro-Kräfte füllen zu wollen, ist eine Bankrotterklärung der Politik.
Dieser Trend muss gestoppt werden.
Eine Erfolg versprechende Beschäftigungspolitik kann nicht bei Billiglösungen
und einer Ausweitung des (bereits vorhandenen) Niedriglohnsektors ansetzen. Dringend notwendig ist die Sicherung und der Ausbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist hierzu kein schlüssiges
Gesamtkonzept zu erkennen. Während die konjunkturelle Nachfrage durch die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer eher weiter abgewürgt wird, setzt insbesondere die CDU auf eine Ausweitung des Niedriglohnsektors durch Kombilöhne. Angesichts der Herausforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft und des schon heute absehbaren Fachkräftemangels in Deutschland eine fatale Perspektive: Der Druck auf reguläre Arbeitsplätze würde weiter zunehmen, denn hinter der Diskussion über Kombilöhne verbirgt sich die Konzentration auf eine Senkung der Löhne. Doch einen Dumpingwettbewerb können wir nie gewinnen.
Deshalb können und müssen wir wieder besser werden und nicht ständig billiger. Dafür brauchen wir vor allem Investitionen für innovative Arbeitsplätze und für Bildung. Es wäre ökonomisch unverzeihlich und menschlich unwürdig, wenn Arbeitslose in perspektivlose Billigjobs abgedrängt werden und ihre Potenziale einfach verkümmern. Deutschland muss im Informationszeitalter zu einer Dienstleistungs- und nicht zur Dienstbotengesellschaft werden. Die Förderung von (Weiter-)Bildung und Qualifizierung muss deshalb auch im Arbeitsleben wieder eine hohe Priorität haben. Damit lassen sich auch viele soziale Folgeprobleme lösen.
Das Kernproblem ist aber schon heute das grassierende Lohn- und Sozial-dumping. Die Nachfrage wird eingeschränkt, die Binnenkonjunktur gelähmt,
personalintensive Betriebe massiv unter Druck gesetzt, Jobs vernichtet
und die sozialen Sicherungssysteme ausgehöhlt. Notwendig ist deshalb eine
Haltelinie bei den Löhnen sowie eine Strategie zur Förderung von sozial-versicherungspflichtiger Beschäftigung und Qualifizierung. Im Gegensatz zu einer unkontrollierbaren Lohnsubventionierung ganzer Branchen durch Kombilöhne ist es sinnvoll, die sozialen Sicherungssysteme durch Steuern zu
entlasten. Die Sozialversicherungen müssen seit langem eine Fülle von gesellschaftlichen Aufgaben leisten, die richtigerweise über Steuern finanziert würden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Steuerreform, um auch hohe Einkommen, hohe Gewinne und hohe Vermögen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Ein solches Umsteuern ist auch eine sinnvolle Alternative zu den vielen prekären Beschäftigungsformen.
Eine generelle Subventionierung der Arbeitgeber wäre dagegen ein Fass
ohne Boden ohne positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, aber mit
neuem Druck auf das Lohngefüge.
[FETTKombilöhne bringen Tarife unter Druck]
Kombilöhne gibt es ohnehin längst: Mit Hartz IV haben wir bereits ein Kombi-lohnsystem, denn Arbeitslose sind verpflichtet, Jobs (auch untertarifliche!) anzunehmen, die nicht zu einer vollen Deckung ihres Existenzminimums ausreichen.
Dadurch geraten aber Löhne und Gehälter sowie tarifliche Arbeitsbedingungen weiter unter Druck. Deshalb sind die Kürzungen und Verschlechterungen für Arbeitslose immer auch eine Gefahr für bestehende Arbeitsplätze in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst.
Für die Tarifpolitik bedeutet dies, dass höhere Löhne nur schwer durchzusetzen sind. Die Bundesrepublik ist das einzige große westliche Industrieland, das im letzten Jahrzehnt sinkende Reallöhne zu verzeichnen hatte. Damit lässt sich unser zentrales Problem der lahmenden Binnennachfrage nicht lösen.
Für den Bereich des öffentlichen Dienstes kommen zusätzlich noch die zum Teil selbstverschuldeten Steuermindereinnahmen der öffentlichen Hand hinzu. Die aktuelle Diskussion im öffentlichen Dienst um längere Arbeitszeiten und ein dezentrales Besoldungsrecht zielt auch in die Richtung, verschiedene Personengruppen leichter gegeneinander ausspielen und Verschlechterungen durchsetzen zu können.
Die Personalvertretungen und Gewerkschaften werden auch in diesem Jahr Angriffe auf Einkommen und Arbeitsbedingungen abzuwehren haben. Dabei macht Mut, dass bei der letzten Bundestagswahl eine Absage an Sozialstaat, Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften nicht mehrheitsfähig gewesen ist. Dies müssen wir auch bei den anstehenden politischen Entscheidungen immer wieder deutlich machen.

Ursula Engelen-Kefer