Sie sind hier:

Solidarisch durch die Krise

Steigende Preise erfordern dauerhafte Tariferhöhungen

Aktuell treffen gleich mehrere Krisen aufeinander. Nach über zwei Jahren Corona-Pandemie haben der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der Stopp der Lieferung von Gas über Nord Stream 1 durch Putin eine Energiekrise hervorgerufen. Noch ist unklar, wie die Versorgungslage in Deutschland mit Gas und Wärme im Winter aussehen wird. Zugleich steigt die Inflation so stark wie seit 50 Jahren nicht mehr. Viele Ökonom:innen rechnen mit einer Rezession im kommenden Jahr.
Deutschland steht vor der Herausforderung, die Preissteigerung aufzufangen und eine drohende soziale Spaltung zu verhindern. Denn die steigenden Abschlagszahlungen für Energie und die Lebensmittelpreise belasten insbesondere Menschen mit niedrigem, aber auch mit durchschnittlichem Einkommen im hohen Maße und stellen sie vor existenzielle Probleme.
Für ver.di ist die Antwort klar: Langfristig steigende Preise erfordern dauerhaft wirksame Tariflohnsteigerungen. ver.di kämpft für entsprechende Tarifverträge, um Preissteigerungen auszugleichen. In den vergangenen Monaten hat ver.di Tarifabschlüsse für Zehntausende von Mitgliedern durchgesetzt, die zu einem Inflationsausgleich führen. Etwa für die Beschäftigen der Lufthansa oder die Kolleginnen und Kollegen an den Seehäfen.
Das wollen wir in den kommenden Monaten fortsetzen. Zum Beispiel für die kommende Tarifrunde des öffentlichen Dienstes bei Kommunen und Bund, wo wir 10,5 %, mindestens aber 500 Euro mehr für die Beschäftigten fordern. Für Auszubildende, Studierende und Praktikant*innen fordern wir eine Erhöhung der Vergütungen um 200 Euro. Weitere wichtige Tarifrunden, in denen wir für einen Inflationsausgleich antreten, stehen für die Beschäftigten bei der Deutschen Post AG und danach auch im Handel an.
Die Bundesregierung hat wiederum im Laufe des Jahres mit drei Hilfspaketen reagiert, die allesamt einige richtige Schritte zur Entlastung beinhalteten und dabei ver.di-Forderungen aufgegriffen haben. Verschiedene Einmalzahlungen sowie die Energiepreispauschale, die nachträglich auch an Renter:innen und an Studierende ausgezahlt wurde, waren sinnvoll. Dennoch blieben die jeweiligen Pakete unterm Strich hinter den Herausforderungen zurück.
Das Anfang Oktober beschlossene 200 Milliarden-Paket, das Bundeskanzler Scholz unter dem Titel „Doppelwumms“ in die Öffentlichkeit getragen hat, hat ebenfalls die ver.di-Forderung einer Bremse für Strom, Gas und Wärme aufgenommen. Für den Strombereich hat sich die Bundesregierung vorgenommen, dies mit Einnahmen aus einer Reform des Strommarkts zu finanzieren. Dabei sollen „Zufallsgewinne“ günstiger Stromerzeugungsarten, die den vollen Preis von teurerem Gas bekommen, abgeschöpft werden. Die Einnahmen sollen dann dazu genutzt werden,die gestiegenen Preise zu bremsen. Mehr ist zur Strompreisbremse aktuell nicht bekannt.
Für den Gas- und Wärmebereich wiederum hat die Bundesregierung eine 24-köpfige Kommission inklusive meiner Person einberufen. Die Kommission wurde leider viel zu spät eingesetzt und mit einem äußerst ambitionierten Zeitplan versehen. Sie hat in ihrem Zwischenbericht Mitte Oktober vorgeschlagen, den Dezember-Abschlag für alle Haushalte wegfallen zu lassen. Ab März soll eine Gaspreisbremse eingesetzt werden, bei der 80 % des Verbrauchs auf 12 Cent gedeckelt werden. Für Fernwärme gibt es vergleichbare Regelungen. Unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen der Kommission war das als Ergebnis rauszuholen, mehr aber auch nicht. Deshalb habe ich ein Sondervotum zu dem Bericht abgegeben. Wir setzen uns als ver.di in der jetzt beginnenden parlamentarischen Umsetzung für weitere Verbesserungen ein. Der Vorschlag der Gaspreiskommission macht etwa beim Ausmaß der Entlastung keinen Unterschied zwischen einer Zweizimmerwohnung und einer Villa mit Pool. Das führt zu einer sozialen Schieflage, daher braucht es eine Obergrenze für die Förderung, damit die Eigentümer großer Immobilien nicht überproportional profitieren. Für Menschen mit eher niedrigen bis mittleren Einkommen ist auch der gedeckelte Preis immer noch sehr hoch. Deshalb fordern wir ein Grundkontingent, das zusätzlich vergünstigt ist. Die Übernahme von nur einer Abschlagzahlung in diesem Winter reicht als Entlastung ebenfalls nicht aus, auch hier fordern wir eine Nachbesserung.
Gleichzeitig muss die notwendige sozialökologische Transformation unter erhöhtem Zeitdruck vorangebracht werden, um Erdgas zu sparen und weiter konsequent die globale Klimakrise zu bekämpfen. Der Dürresommer in diesem Jahr hat uns erneut verdeutlicht, dass die Klimakrise keine Pause macht, wenn Pandemie und Kriege uns vor große Herausforderungen stellen.
Entsprechend steigt der Transformationsdruck in Richtung Klimaneutralität erneut. Die „Brücke“ Erdgas auf dem Weg dahin ist seit Anfang des Jahres noch mal merklich geschrumpft. Entsprechend müssen der Ausbau erneuerbarer Energien, der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, der Ausbau und die Modernisierung von Strom- und Wärmenetzen, die kurzfristige Diversifizierung von Gasimporten mit einer Perspektive auf grünen Wasserstoff sowie umfassende Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen eine hohe Priorität haben.
Zu diesem Zeitpunkt ist eine vollständige Bewertung der Maßnahmen für den Winter nicht möglich. Dennoch bleiben die Pläne der Bundesregierung hinter den weiterhin notwendigen Schritten zurück. Starke Schultern müssen mehr zur Bewältigung der Krise beitragen, beispielsweise durch eine gerechtere Erbschaftssteuer und eine Vermögenssteuer. Dies ist in der Ampelkoalition jedoch leider genauso wenig mehrheitsfähig wie ein Aussetzen der Schuldenbremse. Beides könnte die Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen und Investitionen in die sozialökologische Transformation und Klimaschutz ermöglichen.

Frank Werneke

nächster Artikel