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Studierende als Klassenlehrer

Jede elfte Unterrichtsstunde erteilen nicht voll ausgebildete Lehrkräfte

Frau am Tisch, Kopf gebeugt über Bücher und DINA4-Ordnern
Wie soll ich das bloß machen? Lehrkräfte, die ohne ausreichende Qualifikationen unterrichten, sind häufig überfordert (Foto: GEW)

Drei Fragen vorweg: Würden sich Schwerkranke gerne von Medizin-Studierenden operieren lassen? Würden sich Klienten gerne von Jura-Studierenden in einem Rechtsstreit vertreten lassen? Würden sich Urlauber gerne von Personen in die Ferien fahren lassen, die gerade Bus-Fahrschule machen? Die Antwort der meisten wäre so kurz wie klar: Nein.
Viele Schülerinnen und Schüler im Land Bremen haben dagegen keine Wahl. Sie werden massenhaft von Studierenden unterrichtet und benotet, die kein Referendariat absolviert haben oder - noch schlimmer - die keinen Master-Hochschulabschluss vorweisen können. Allein in Bremen wird jede elfte Unterrichtsstunde nicht von einer voll ausgebildeten Lehrkraft gegeben. Tendenz steigend. An einigen Schulen sind die Zahlen noch wesentlich dramatischer. Auf Grund des Lehrkräftemangels ist es keine Seltenheit, dass Bachelor-Absolventen Klassenleitungen übernehmen müssen.
Viele wissen es gar nicht: In Bremen sind nicht alle Lehrkräfte direkt bei der Stadt angestellt. Zusätzlich zum öffentlichen Dienst hat sich um die Schulen herum in den vergangenen Jahren noch ein zweiter Arbeitsmarkt gebildet. Denn auch private Träger beschäftigen (angehende) Pädagog_innen und stellen diese Arbeitskräfte dann den Schulen im Rahmen von Leiharbeitsverhältnissen zur Verfügung. Die größte "Leiharbeitsfirma" in Bremen ist der Verein Stadtteilschule, über den mehr als 600 Personen an die Stadt Bremen verliehen werden, um hier die Unterrichtsversorgung aufrecht zu erhalten. Die Lehrkräfte der Stadtteilschule sind überwiegend nur befristet angestellt. Für viele von ihnen bedeutet der Unterricht an den Schulen ein Sprung ins kalte Wasser, denn Einarbeitung und Weiterbildung werden nicht im notwendigen Maße ermöglicht. So werden die Lehrkräfte verheizt und die Qualität des Unterrichts gefährdet.
Wenn es zur Normalität wird, dass Studierende unterrichten, wozu braucht es dann noch eine lange Ausbildung und gut bezahlte Lehrer_innen? Genau das befürchtet auch die GEW und betont, dass Studierende nur als Aushilfskräfte und nicht auf Planstellen eingesetzt werden dürften. Inzwischen ist mehr als jede dritte neue Lehrkraft nur unzureichend pädagogisch ausgebildet. Umso mehr muss die Senatsverwaltung für deren Qualifizierung tun - beispielswiese durch Mentoringstunden und eine angemessene Unterrichtsentlastung. Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich inzwischen, welchen Stellenwert eine qualifizierte pädagogische Ausbildung für die Bildungssenatorin Claudia Bogedan überhaupt noch hat. Denn es sei bedenklich, dass die Bildungsbehörde nach wie vor nur wenig für einen Ausbau der Ausbildungskapazitäten tue, um den Lehrkräftebedarf wenigstens für die Zukunft zu sichern. Deshalb fordert der Personalrat Schulen eine schnelle und massive Erhöhung der Referendariatsplätze. Solange klagen die neuen, nicht ausreichend qualifizierten Pädagog_innen über mangelnde Unterstützung und Überbelastung. Und das führt fast zwangsläufig zu Überforderungen.
Auch Lena - ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen - will Lehrerin werden, noch allerdings ist sie Studentin. Aber schon jetzt steht sie zehn Stunden pro Woche vor einer Schulklasse, alleine. Ihr Unterricht läuft nicht optimal, die Klasse ist unruhig. "Da fragt man sich auch, liegt das einfach daran, dass wir noch Studenten sind und ein fertiger Lehrer einfach auf den Tisch hauen müsste und dann wäre es ruhig. Aber das wissen wir nicht." Lena teilt sich mit zwei anderen Studentinnen die Klassenleitung, einen Berater hat sie nicht. Das bedeutet: viele Absprachen, Elternarbeit, Rituale klären. Auch andere studentische Vertretungslehrer_innen sagen: Das ist zu viel. Parallel das Studium in der Regelstudienzeit durchzuziehen, sei wohl kaum zu schaffen. Und bezahlt werden nur die zehn Unterrichtsstunden. "Man arbeitet dafür aber locker 20 Stunden die Woche."
Auch den Eltern gefällt das Konzept nicht. Pierre Hansen vom Zentralelternbeirat Bremen berichtet: Jetzt hat man so viele Vertretungslehrer_innen im System, die nicht zu Ende ausgebildet sind. Es kommt inzwischen bei den Eltern an, dass da irgendwas nicht stimmt. Für die Betroffenen gibt es kein verlässliches Regelwerk. Weder ist geklärt, wie viele Stunden sie machen dürfen, noch welche Aufgaben sie übernehmen können. Der Personalrat Schulen Bremen befürchtet, dass insgesamt die Qualität des Unterrichts sinkt, wenn sich eine solche Praxis auf Dauer verfestigt.

Karsten Krüger