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Bad hair day

Neoliberalismus ohne Maske

Manchmal sind die Nachrichten wirklich schwer zu ertragen, besonders im Fernsehen. "Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht" – das ist eine journalistische Binsenweisheit. Aber wenn ich zu den Nachrichten auch noch die hässlichen Fratzen ihrer Protagonisten sehen muss, wird es zu viel. Donald Trump, Boris Johnson und Beatrix von Storch in einer Sendung? Da beruhige ich mich doch lieber mit dem Betrachten des neuen Designs meiner Zigarettenschachtel.
Wie kommt es eigentlich, dass die alle so sch… aussehen? Es erscheint mir zu einfach, dass es nur an der Wortverwandtschaft von "Hass" und "hässlich" liegen könnte.

Findet sich vielleicht kein Friseur, der bereit wäre, sich dieser Köpfe mal anzunehmen? Verstehen könnte ich das durchaus, schließlich reden Friseure gern mit ihren Kunden, und wenn da immer nur Geifer zurückkommt, ist das echt unangenehm.
Oder handelt es sich um ein bisher unerforschtes biochemisches Phänomen? Ist das, was wir bisher - allen Zweifeln zum Trotz - für Haare hielten, bei diesen Personen nur überschüssiger Gedankenmüll, der in Materie umgewandelt und aus dem Kopf herausgepresst wird? Und wenn ja, gab es dieses Phänomen schon immer oder ist es neu? Haben vielleicht diejeingen, die ihre Köpfe lieber mit Aluhüten (wie es darunter wohl aussieht?) bedecken, doch Recht, wenn sie vor Chemtrails* warnen?
Keine dieser Überlegungen kann mich letztlich überzeugen. Viel eher ist es wohl eine perfekte Übereinstimmung von Form und Inhalt. Der Neoliberalismus geht jetzt ohne Maske. Über Jahre hinweg wurden uns die Segnungen freier Märkte ohne sozialstaatlichen Ballast und lästige staatliche Regulierungen gepredigt. Von gut frisierten Menschen, die sich auch schon mal mit juristischen Mitteln Mutmaßungen darüber verbaten, ob denn an der Haarpracht alles echt ist.

*Chemtrails: Theorie, der zufolge über Europa psychoaktive Substanzen von Flugzeugen aus versprüht werden. Diese sollen das Bewusstsein der Bevölkerung dafür vernebeln, dass sowieso nur alles von Washington ferngesteuert wird.

Ganz sicher nur ein Gerücht ist allerdings, dass in diesem Milieu Spitzenkandidaturen gelegentlich im Rahmen von Schönheitswettbewerben vergeben würden.
Inzwischen ist das neoliberale Credo - "Wenn jeder nur an sich denkt, ist an alle gedacht" - so fest in der Gesellschaft verankert, dass man mal versuchen kann, eine konsequentere Sichtweise salonfähig zu machen. "Kämpfe mit allen Mitteln für Deine Interessen; so lange Du oben bist, trampele auf denen unter Dir rum." Die, die diese Zuspitzung betreiben, sind ganz oben mit dabei, da lässt es sich am besten trampeln. Wenn man Millionen oder gar Milliarden hat, ist Solidarität mindestens störend, wenn nicht gar eine Bedrohung, die bekämpft werden muss.
Wacht endlich auf!

Burkhard Winsemann