Sie sind hier:

Personalräte agieren fair und verantwortungsbewusst

Prof. Dr. Tietel: Über das BremPersVG und die Versuche es einzuschränken

Porträt von Dr. Erhard Tietel, Hochschullehrer am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen
Prof. Dr. Erhard Tietel, Hochschullehrer am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen und Mitglied der Jury des Deutschen Betriebsrätepreises (Foto: privat)

Nach 60 Jahren Bremisches Personalvertretungsgesetz (BremPersVG)gab und gibt es in diesem Jahr Bestrebungen, dieses zu ändern. Ist das Gesetz noch zeitgemäß?
Ja, es ist meines Erachtens noch zeitgemäß. Die Vorstöße der FDP, der CDU und leider auch aus Reihen der Grünen sind rückschrittlich und versuchen, Mitbestimmung einzuschränken. Man hat zuweilen auch nicht den Eindruck, dass dahinter große Sachkenntnis steckt. Die Mitbestimmungsrechte der Personalrätinnen und Personalräte werden in dieser Diskussion häufig unrealistisch aufgebauscht - bei Planungsstadien haben auch die Bremer Personalräte kein Mitbestimmungsrecht und können da zunächst mal gar nichts verhindern. Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Wenn und wo Personalräte zu Verzögerungstaktiken greifen, dann oft dort, wo sie vor vollendete Tatsachen gestellt und nicht frühzeitig eingebunden werden. Dort, wo Personalräte bei wichtigen Umorganisationen oder Strukturveränderungen von Anfang an beteiligt und die Perspektiven der Beschäftigten einbezogen werden, klappt Mitbestimmung ganz gut.
Die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst ist eng verbunden mit dem BremPersVG. Aus Ihrer Sicht also eine gute Verbindung?
Ja, eine sehr gute Verbindung. Nach der Erfahrung mit der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus wurde das BremPersVG aus guten Gründen betont mitbestimmungsfreundlich ausgestaltet. Die Personalräte sollten mehr Mitbestimmung bekommen, um die Interessen der Beschäftigten besser und nachhaltiger vertreten und verteidigen zu können. Hier deutet sich in Bremen bereits der Aufbruch an, der bald darauf mit Willy Brandts Devise: „Mehr Demokratie wagen“ zum Zeitgeist wurde. Mehr Mitbestimmung, Humanisierung und Beteiligung – weg vom autoritären Amtsschimmel und von Entscheidungen nach Gutsherrenart, die man in manchem Amt durchaus heute noch - oder wieder verstärkt - findet.
Wie beurteilen Sie die Allzuständigkeit?
Zunächst einmal ist der Begriff irreführend, weil er nahelegt, dass Personalräte bei allen Dingen mitbestimmungsberechtigt sind. Weite Bereiche, die das Direktionsrecht des Arbeitgebers betreffen - wie Arbeitsaufgaben oder Anweisungen - sind das ja nicht. Zudem wurde die Allzuständigkeit durch die Rechtsprechung bereits mehrmals eingeschränkt. Meiner Meinung nach spricht wenig dagegen, dass neben Fragen politischer Steuerung und neben den Interessen der ‚Kunden‘ (Dienstleistungsqualität) auch die Belange der Beschäftigten im öffentlichen Dienst umfassend Berücksichtigung finden.
Sie bilden Personal- und Betriebsräte aus. Die Hauptrechtsgrundlage der Interessenvertreter_innen ist das BremPersVG. Nutzen sie es fair und verantwortungsbewusst?
Auch hier kann ich mit gutem Gewissen mit "Ja" antworten. In dem seit 17 Jahren von uns am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen (zap) durchgeführten Ein-Jahres-Kurs für Betriebs- und Personalräte treffe ich immer wieder auf hoch motivierte, hoch engagierte und vor allem auch verantwortungsbewusste Interessenvertreter_innen. Ihnen liegen nicht nur die Interessen der Beschäftigten - die übrigens alles andere als einheitlich sind - am Herzen, sondern auch "gute Arbeit" und eine vertrauensvolle Kultur im Amt - wohlgemerkt auch mit der Dienststellenleitung. In den Dienststellen, in denen Mitbestimmung nicht gut funktioniert, haben wir es häufig mit Leitungskräften zu tun, die den produktiven Umgang mit dem Personalrat nicht als Führungsaufgabe begreifen und ihre Personalräte ausbremsen oder gar ignorieren. Also genau anders herum, wie es immer wieder zu lesen und zu hören ist: ein Bremsen „von oben“. Was sollen Personalräte denn tun, wenn sie erst sehr spät oder gar nicht informiert werden und - im Unterschied zu vielen privatwirtschaftlichen Unternehmen, in denen Betriebsräte und Gewerkschaften heute innovative Mitgestalter von Veränderungen sind - nur selten im Vorhinein an Entwicklungen beteiligt werden. Wird Personalräten nur mit Formalismen begegnet, darf man sich nicht wundern, wenn diese sich ihrerseits auf Formalia zurückziehen.
Noch mal zu den Kritikern: Können komfortable Mitbestimmungsrechte den öffentlichen Dienst lahmlegen?
Nein, das ist ein gerne an die Wand gemaltes Schreckgespenst. Personalräte können Strukturveränderungen nicht verhindern. Dafür sorgt schon das Letztentscheidungsrecht der obersten Dienstbehörde: Selbst wenn Personalräte mit bestimmten Dingen in die Schlichtung oder die Einigungsstelle gehen, kann sich die senatorische Behörde über deren Empfehlung hinwegsetzen. Auch bei personellen Angelegenheiten von Beamt_innen. Ich komme auf meinen zentralen Punkt zurück: Dienststellenleitungen tun sich häufig schwer, ihren Personalrat frühzeitig mit ins Boot zu holen oder dessen Positionen und Bedenken in die Planung einzubeziehen. Meiner Meinung nach legen kompromiss- oder mitbestimmungsunfähige Dienststellenleitungen den öffentlichen Dienst wesentlich mehr lahm - oder verzögern Abläufe.
Blicken Sie bitte nach vorne: Wie wird bzw. sollte das BremPersVG zum 100. Geburtstag im Jahr 2057 aussehen?
Das BremPersVG sollte dann genauso aussehen wie heute. Ich würde mir aber wünschen, dass auch der Mitbestimmungsgedanke dann allseits akzeptiert ist. Die Verrechtlichung der Mitbestimmung, also die Tatsache, dass Entscheidungsträger, statt mit ihren Gegenübern lösungsorientiert zu verhandeln, die Klärung von politischen Sachverhalten und Bürgeranliegen an Juristen delegieren, macht mir große Sorge. Wenn Themen zum juristischen Spielball werden, geht das leicht auf Kosten sowohl der Arbeits- als auch der Dienstleistungsqualität. Ich würde mir aber auch wünschen, dass Personalräte ihr Ohr zuweilen stärker an den Sichtweisen und Ansprüchen ihrer Kolleg_innen haben und sich ihrerseits mehr um die aktive Einbeziehung von Beschäftigten orientieren (Stichwort: der/die Bürger_in am Arbeitsplatz). Die Interessen und Ansprüche von Beschäftigten sind zunehmend heterogen und es bedarf für zeitgemäße Interessenvertretung gut organisierter partizipativer Prozesse. Auch hier ist noch viel Luft nach oben.

Das Interview führte
Karsten Krüger