Sie sind hier:

Weihnachten bei Mutti

Eine Weihnachtsgeschichte von Burkhard Winsemann

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Wie sehr sich die Familie auch übers Jahr gezankt haben mag: Wenn die Sonne ihren tiefsten Stand erreicht, kuschelt alles im heimeligen Kerzenschein des festlich geschmückten Baums. Bei Mutti. Das ist in der Politik nicht anders als in echten Familien. Und hier wie dort gilt, dass man sich seiner gegenseitigen Zuneigung auch durch Geschenke zu versichern sucht, was freilich nicht immer ganz gelingt.
Und so sitzen sie denn am Heiligen Abend alle in trauter Runde bei Mutti zusammen und tauschen ihre Gaben aus. Der Horsti kriegt von Mutti das Betreuungsgeld und schmollt den Rest des Abends: "Des Betreuungsgeld hatt i eh scho. I’ wollt a Maut, wenn scho ka Autobahn-Maut, dann a Kampfradler-Maut."
Sigmar, der kleine Lausbub bekommt eine Tüte. Erst guckt er etwas bedröppelt, weil sie so klein ist. Doch dann liest er die Aufschrift "Mindestlohn-Tüte" und freut sich so sehr, dass er vergisst, mal reinzugucken. Erst am nächsten Morgen stellt er fest: Nur Zeitungspapierschnipsel. Seinem Bruder Peer ergeht es ähnlich. Für ihn gibt es ein futuristisch schillerndes Päckchen, auf dem steht: Finanztransaktionssteuer. Er schaut hinein, sieht nichts und fängt bitterlich zu weinen an. Da nimmt Mutti ihn in den Arm und sagt: "Ach mein kleiner dummer Junge, wusstest Du das denn nicht? Die Finanztransaktionen laufen doch so schnell, dass man die gar nicht sehen kann. Und die Steuer natürlich auch nicht!"
Auch die entferntere Verwandtschaft geht nicht leer aus. Sie ist am ersten Feiertag zum Essen eingeladen. Die Katrin und der Jürgen kriegen ihren Veggie-Day, nämlich nur Rotkohl und Klöße. Von der Gans möchte Mutti sowieso nicht so viel abgeben. Immerhin dürfen sie mit am Tisch sitzen. Anders als Gregor, der wie ein Hund auf dem Flur sitzen und auf die Knochen warten muss. Fipsi und sein Brüderle werden besser behandelt. Sie kriegen nicht nur eine ordentliche Portion Fleisch, sondern anschließend auch noch ein wunderbares Geschenk: Einen mit einer gelben Schleife verzierten Smart. "Damit könnt ihr jetzt eure freie Zeit genießen und sogar noch eure ganze Fraktion mitnehmen", sagt Mutti.
Mutti selbst wird reich beschenkt. Sigmar und Peer haben zusammengelegt und einen ordentlichen Hammer erstanden, mit dem Mutti die Luftschlösser des SPD-Programms zertrümmern kann. Gregor,
Katrin und Jürgen schenken ihr gemeinsam einen ordentlichen Kopfhörer, den sie im Bundestag aufsetzen kann, wenn die unnützen und einflusslosen Quengler von der Opposition reden. Und Horst verspricht, dass er endlich mit Sigmar Fußball spielen und Doppelpass üben will. "Aber lernen? Lernen wird i’s nimmer."
Am wichtigsten ist Mutti, dass alle sie ganz doll lieb haben. Und dass der Sigmar und der Peer und auch die Andrea sich mal so richtig von ihr umarmen lassen - und zerquetschen.